Editorial 02-25

Dr. Kerstin Gäfgen-Track. Foto: Jens Schulze

Sehr geehrte Damen und Herren,

theologisch-biblische Begriffe erleben seit einiger Zeit im gesellschaftlichen Bereich ein Revival: Demut, Erbarmen, Versöhnung oder Barmherzigkeit. Diese Worte waren vielfach verschüttet, weil sie nicht tough oder hip waren, weder von Dominanz noch von Tatkraft zeugten. Es gilt etwas zu „liefern“ und mehr oder weniger radikal für andere Verhältnisse zu sorgen. Ein „Mehr“ für bestimmte Menschen, aber nicht für viele oder gar alle, soll endlich politisch durchgesetzt werden. Demut, Erbarmen, Versöhnung und Barmherzigkeit werden zu Fremdworten, wenn Macht, Deals und Stärke angesagt sind. Gerade politische Diskurse werden mittlerweile mit Härte, mit lauten Tönen und über millionenfache Wiederholungen weltweit in den sozialen Medien geführt. Die einen möchten sich die Ohren zuhalten, andere hören nicht so genau hin und wieder andere haben das Gefühl, dass sie nicht gehört und wahrgenommen werden.
In der geprägten Sprache der Kirche, konkreter des Gottesdienstes, kommen die Worte Demut, Erbarmen, Versöhnung und Barmherzigkeit weiter vor. Nicht wenige Predigerinnen und Prediger haben aber immer wieder das Gefühl, diese Worte „übersetzen“ zu müssen oder besser durch andere zu ersetzen. Aber an dem, wofür diese Worte inhaltlich stehen, hat Kirche immer festgehalten. Außerhalb von Kirche schienen diese Worte nicht länger gebraucht zu werden, vor allem aber sind in ihrer Bedeutung für menschliches Handeln ins Abseits geraten.
Dabei sind es Worte, die für uns mit der jüdischen und der christlichen Gottesvorstellung verbunden sind. So ist und so handelt Gott. Das verspricht nach der Botschaft der biblischen Schriften Gott allen Menschen. Deshalb können Menschen selbst auch so handeln: Versöhnung ist der Weg zum anderen Menschen und zum Frieden auch in der Politik. Demut ist eine starke Haltung der Selbstkritik und der Suche nach Konsens. Sich erbarmen, um Menschen in Not zu helfen. Barmherzig sein, um Menschen nicht abzuwerten und auszugrenzen, damit sie teilhaben und partizipieren können. Demut, Erbarmen, Versöhnung und Barmherzigkeit sind aktuell Sehnsuchtsworte, die gerade jetzt in Zeiten von Krisen und Kriegen, von Ängsten und Verunsicherung ein anderes Denken und auch Handeln anstoßen können, auch bei denen, die sich selbst nicht als Christen verstehen, aber ihre tiefe Bedeutung für alle Menschen wahrnehmen.  
Diese Worte für die Sehnsucht nach einem anderen Umgang auch im Bereich des Politischen können leise und nachdenkliche Töne in Diskurse bringen, um Verhärtungen zu lösen, neue Wege zu finden und gemeinsam Leben auf diesem Planeten zu gestalten. Wir brauchen eine andere Haltung und eine andere Sprache, um Gespräche zu öffnen und zu weiten. Es ist an allen zivilgesellschaftlichen Kräften, den gesellschaftlichen Diskurs nicht abreißen zu lassen, „Runde Tische“ zu initiieren und Lösungen zu entwickeln, die viele mittragen können. Mit der Demut, nicht alles besser zu wissen und mit der Barmherzigkeit, sich nicht gegen andere um jeden Preis durchzusetzen.
In diesem Sinne haben sich die Bischöfe und Leitenden Geistlichen in Niedersachsen-Bremen zur Bundestagswahl geäußert, um die Demokratie zu stärken und den Dialog auch und gerade nach der Wahl in eine konstruktive Richtung zu bringen. Dafür beten wir in unseren Kirchen.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre

Dr. Kerstin Gäfgen-Track

„Demut, Erbarmen, Versöhnung und Barmherzigkeit sind aktuell Sehnsuchtsworte“