Die Bevollmächtigten OLKR Kerstin Gäfgen-Track und OLKR Andrea Radtke schreiben im Editorial des Februar-Newsletters:
Sehr geehrte Damen und Herren,
ein stechender Schmerz in der Brust, der in den linken Arm wandert, bei diesem Symptom denken nicht nur Ärzt*innen an einen Herzinfarkt. Ganz anders die erste Diagnose bei Übelkeit, Erbrechen, Rückenschmerzen, ein Herzinfarkt ist da eher nicht im Blick, obwohl bei vielen Frauen diese Symptome einen Herzinfarkt ankündigen können. Die Folge: Frauen kommen im Schnitt eine Stunde später in die Notaufnahme als Männer bei einem akuten Notfall, wenn jede Minute zählt.
Viele Frauen machen auch die Erfahrung, dass ihre Beschwerden als psychosomatisch abgetan werden und nicht nach einer körperlichen Ursache gesucht wird. »Das haben wir auch im Zusammenhang mit Covid-19 und speziell mit Long-Covid gesehen«, so Professorin Sabine Oertelt-Prigione, Internistin am Lehrstuhl für geschlechtersensible Medizin an der Universität Bielefeld.[1]
Der männliche Körper gilt als Maß medizinischer Forschung, entsprechend werden Medikamente entwickelt und erprobt, Symptome gedeutet. Frauen zum Medizinstudium zuzulassen und als praktizierende Ärztinnen zu akzeptieren, schafft noch lange keine Geschlechtergerechtigkeit in medizinischen Belangen – ein Beispiel von vielen, wo es an Geschlechtergerechtigkeit mangelt.
Die Fakten sind seit langem bekannt, doch das Wissen um bleibende Ungerechtigkeiten (gender pay gap) schafft noch keine Gleichberechtigung. Die Gleichheit vor dem Gesetz ist eine Errungenschaft, führt jedoch nicht automatisch zu Geschlechtergerechtigkeit im öffentlichen und privaten Leben. Geschlechtergerechtigkeit ist kein »Selbstläufer«, daran hat die Juristin und »First Lady« Elke Büdenbender zur Eröffnung der bundesweiten Pilgerinitiative der EKD #GoForGenderJustice erinnert. Büdenbender ist überzeugt, dass darüber zu reden helfe, »die Schieflage zwischen den Geschlechtern zu begradigen«.[2] In diesem Sinne, kann es helfen, sich pilgernd – oder auf anderem Wege – zu Orten der Diskriminierung zu begeben und davon zu berichten. Eine Pilgerstation der EKD Initiative ist der Busbahnhof am Flughafen Stuttgart-Echterdingen. Dort kommen Busse aus Osteuropa an, die überwiegend Frauen aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland bringen. Nicht wenige werden später durch Mittelsmänner zu Sexsklavinnen »vermarktet«. Weitere Pilgerstationen sind das »Hoffnungshaus« im Rotlichtviertel Stuttgarts und die Beratungsstelle Rahab, die Prostituierte beim Ausstieg unterstützt.[3]
Die Philosophin Amia Srinivasan skizziert den »Feminismus als politische Hoffnung«: »Es sind vor allem Frauen und Mütter im globalen Süden, die in ihrem Alltag in die Trümmer des Zusammenlebens tauchen müssen, weil der Klimawandel gefährdet, dass sie ihre Familien versorgen können.« Und: »Es waren junge Frauen, die sich an die Spitze der jüngsten Proteste gesetzt haben.«[4] Greta Thunberg in Schweden, Luisa Neubauer in Deutschland, Alexandria Ocasio-Cortez in den USA, Vanessa Nakate in Uganda.
Es geht um die Bereitschaft auf Männer wie Frauen zu hören, ihre unterschiedlichen Bedürfnisse und Begabungen wahrzunehmen, damit Veränderungen möglich werden. Diese Veränderungen sind so gewaltig, dass wir auf keine und keinen verzichten können, auf keine guten Ideen und keinen mutigen Gedanken.
In der nächsten Woche, am Aschermittwoch, beginnt die Fastenzeit. Bewusst leben, vielleicht auf Nahrung und Alkohol verzichten, um den Kopf frei zu bekommen, umzudenken. Fastenzeit macht Sinn – in diesem Sinne wünschen wir Ihnen eine gute
Kerstin Gäfgen-Track und Andrea Radtke
[1] Vgl. Art. »Frauen sind anders krank« auf: unizeit: Frauen sind anders krank (uni-kiel.de)
[2] Elke Büdenbender in der Eröffnungsrede der Pilgerinitiative #GoForGenderJustice am 1. Februar 2022, Eröffnungsveranstaltung der Pilgerinitiative #GoForGenderJustice - YouTube
[3] Vgl. die Pilgerstation „Prostitution und Menschenhandel“, https://www.go-for-gender-justice.de/pilgerevents/verborgene-frauenwelten/.
[4] Vgl. „Was ist Sex?“ Interview von Elisabeth von Thadden mit Amia Srinivasan in der Zeit-Ausgabe vom 10.02.2022.