Das gemeinsame Essen, die Mahlgemeinschaft am Tisch

Nachricht 24. August 2022

Die Bevollmächtigte OLKR'n Kerstin Gäfgen-Track schreibt im Editorial des August-Newsletters

Sehr geehrte Damen und Herren,

Nahrung verbindet, regt die Kommunikation an und macht glücklich.  Das gemeinsame Essen, die Mahlgemeinschaft am Tisch bietet (fast) alles, von dem, was menschliche Grundbedürfnisse verlangen. Sie ist immer schon und wird voraussichtlich besonders im kommenden Winter eine Säule sein, den familiären und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu wahren und zu stärken. Aber nicht auf allen Tischen bei uns und weltweit, steht genügend auf dem Tisch, um Hunger und Durst zu stillen. Nicht an allen Tischen wird der auch streitbare Dialog gepflegt und die Gemeinschaft gepflegt. Die Tafeln Land auf, Land ab mit ihren unterschiedlichen Angeboten und Trägern bereiten sich schon gegenwärtig vor auf die steigende Nachfrage nach Lebensmitteln in Folge der Energie- und Inflationskrise.

Das gemeinsame Essen oder die Mahlgemeinschaft bietet jedoch die Chance, weit mehr als den physischen Hunger zu stillen. Zu Hause, in der Familie oder unter Freund*innen öffnet sie einen Raum für Gespräche, die sich ohne Tischgemeinschaft nicht ergeben oder anders geführt würden. „Eine Tischgemeinschaft tastet sich langsam vor, wenn schlechte Noten oder Misserfolge zu offenbaren sind. Auch die Bereitschaft, von Enttäuschungen und Trauer zu sprechen, braucht Zeit. Gesprächspartner:innen arbeiten sich sozusagen gemeinsam in die Tiefe vor. Erfolge, Freude und Ärger dagegen sprudeln heraus und verschaffen sich schneller Gehör. […] Eine gute Küche und ein gutes Essen fördern die Atmosphäre für eine gelingende Kommunikation.“[1]
Beim gemeinsamen Zubereiten und folgenden Essen lässt sich leichter reden, das erklärt vielleicht auch den Erfolg von Kochkursen für ganz unterschiedliche Menschen, z.B. für trauernde Männer.[2]

Die Gemeinschaft am Tisch steht für vieles

  • der Runde Tisch für politische Beratungen über Parteigrenzen hinweg, im Miteinander verschiedener gesellschaftlicher Akteure, wie zurzeit in Niedersachsen beim Runden Tisch zur Energiekrise und soziale Problemlagen;
  • die Tafeln für die Versorgung mit den nötigsten Lebensmitteln dort, wo der Sozialstaat die Hilfe versagt oder die gewährte nicht ausreicht und als Ort, an dem Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft zusammenkommen;
  • die nachhaltige und gesundheitsfördernde Gemeinschaftsverpflegung an den Tischen von Kitas, Schulen, Betrieben, Krankenhäusern, Seniorenheimen als ein zentrales Anliegen der niedersächsischen Ernährungsstrategie im Rahmen der Agenda 2030;
  • die Festtafel als unentbehrliche Grundlage vieler Feiern;
  • der Altar als Tisch in den christlichen Kirchenräumen. Das Abendmahl fördert die Verbundenheit der Christ*innen untereinander und mit Jesus Christus. Es hält die Hoffnung wach auf den Gott, der mir einen Tisch bereitet „im Angesicht meiner Feinde“ (Psalm 23) und auf eine Tischgemeinschaft, die mit allen Hungrigen das Brot bricht.

In Kontrast zu diesen nährenden und verbindenden, Kommunikation und Verständnis fördernden Tischgemeinschaften stehen Tische von Chef*innen und Staatsmännern mit anderer Funktion und Symbolik mit einem auch über das übliche (Corona-)Maß hinaus reichenden Abstand als Symbol von Hierarchie, Distanz und nicht gewährter Augenhöhe.

In diesen Tagen denke ich viel darüber nach, was Menschen zu einem gelingenden Leben brauchen. Mit anderen Menschen, mit der Familie oder mit Freund*innen gemeinsam zu speisen, sie zu Essen und Gespräch einladen zu können, ist für mich eins der menschlichen Grundbedürfnisse. Für ein Leben in Würde sollte jeder Mensch immer wieder die Möglichkeit haben, an einem gemeinsamen Mahl teilzunehmen, ja selbst dazu einzuladen. Was es dazu braucht, haben aber längst nicht alle: Essen und Trinken in Genüge, einen vor übermäßiger Kälte oder Hitze und Feuchtigkeit geschützten Ort, das Wissen[3], wie Mahlzeiten zubereitet werden und die Verbundenheit mit Menschen, die der Einladung folgen werden.

In den gegenwärtigen Herausforderungen liegt für mich ein Segen auf gemeinsamem Essen und Gespräch. Wir sind auch persönlich gefordert, Menschen ein Essen und ein gemeinsames Gespräch anzubieten.

Ihre

Kerstin Gäfgen-Track


[1] Zitat aus einem Entwurf von Prof`n Dr. em. Ines Heindl zur Ernährungsethik (2013), Quelle: https://www.praefaktisch.de/ethik-der-ernaehrung/ernaehrungsethik-essen-und-kommunikation/

[2] Vgl. den Artikel über „Kochgruppen speziell für trauernde Männer“, FAZ vom 12.08.2022, Quelle: Mehrere Städte: Kochgruppen speziell für trauernde Männer - dpa - FAZ

[3] Niedersachsens Ernährungsstrategie fordert u.a., die Ernährungs- und Verbraucherbildung in Kitas und Schulen zu stärken. Mehr Infos unter: https://www.ernaehrungsstrategie-niedersachsen.de/thema/334_Erna%CC%88hrungsbildung.