Ein kleines bisschen Sicherheit

Nachricht 30. Oktober 2022

Die Bevollmächtigte OLKR'n Kerstin Gäfgen-Track schreibt zum Reformationstag 2022

Sehr geehrte Damen und Herren,

„Gib mir 'n kleines bisschen Sicherheit / In einer Welt, in der nichts sicher scheint“, singt die Pop-Rock-Band Silbermond im Jahr 2009 und es klingt aktueller denn je. Nichts ist mehr sicher, so scheint es nach bald drei Jahren Corona-Pandemie nach über einem halben Jahr Krieg in der Ukraine, angesichts zu langer Wartezeiten auf lebenswichtige OPs, zusammenbrechender weltweiter Lieferketten, die mal Medikamente oder ein andermal Chips Mangelware werden lassen, und vor einem Winter, der für viele zu kalt und dunkel zu werden droht. Was lange sicher war, ist es nicht mehr: ein Wintersemester an der Uni in Präsenz, der Schwimmkurs im angenehm warmen Hallenbad oder das Ende der Atomkraftwerke in Deutschland und vor allem der Frieden in Europa. Das gibt Menschen das Gefühl, auf zu dünnem Eis zu leben und macht ihnen Angst, Schritte in die Zukunft zu gehen – denn dann könnte das Eis vielleicht brechen. Das Vertrauen ins Leben ist für immer mehr Menschen weg. „Gib mir’n kleines bisschen Sicherheit“, und wenn sie ehrlich sind, hätten viele gerne mehr als nur ein „kleines bisschen Sicherheit“.    

Die Sehnsucht nach Sicherheit sitzt tief in den Menschen. Viele schließen Versicherungen ab, bauen Sicherheitsschlösser in Haustüren, lassen beim Einkaufen Fahrräder nicht unabgeschlossen stehen, wollen immer wieder auf Nummer sicher gehen, kontrollieren erneut und erfahren doch: eine Unfallversicherung bewahrt nicht vor dem Unfall. Haustüren und Fahrradschlösser werden dennoch aufgebrochen. Sicherheit ist immer auch gefährdet und momentan ganz besonders. Die europäische Sicherheitsordnung, die auf Zusammenarbeit entlang von Prinzipien wie staatlicher Souveränität, der Unverletzlichkeit von Grenzen und einer friedlichen Konfliktlösung basierte, ist tief erschüttert. Ein Suchen, Tasten und Ringen um ein neues Miteinander hat begonnen, dem Krieg, der Energiekrise und allen Krisen voran der Bedrohung durch den Klimawandel und seinen Folgen, wirksam zu trotzen. Eine neue globale Balance der Volkswirtschaften und Wirtschaftssysteme steht ganz am Anfang.

„Sag mir, dass dieser Ort hier sicher is' / (…) / Und dass das Wort / Das du mir heute gibst / Morgen noch genauso gilt“. Damit hat die Sängerin Stefanie Kloß Worte für ihre Sehnsucht nach Sicherheit, Verlässlichkeit und Geborgensein in einer Sprache auch für heute gefunden, die benennt, was bedrückt und zugleich die Sehnsucht nach Veränderung und Hoffnung im eigenen Leben weckt. In der Poesie und Literatur, der Kunst und im Gebet findet diese Sehnsucht nach einem sicheren Ort und mit ihm nach einer tragenden Gemeinschaft immer wieder ihren oftmals berührenden Ausdruck. Die Bibel bietet einen Schatz an Worten, die „morgen noch genauso gelten“ wie gestern und heute und hoffentlich mehr als ein „kleines bisschen Sicherheit“ geben.  Eines von ihnen ist eine Zeile aus Psalm 46, der über dem diesjährigen Reformationstag steht: „Gott ist uns Zuflucht und Schutz“. Es ist der Glauben an einen Gott, oder unpersönlicher ausgedrückt: an etwas, das höher ist als unsere Vernunft, als unser Denken, Fühlen, Planen, das Religionen und religiöse Überzeugungen prägt. Ganz oft sind es aber nicht Texte – sie geben nur der Sehnsucht Ausdruck –, sondern Beziehungen, die Verlässlichkeit, Geborgenheit und Gemeinschaft fürs Leben eröffnen und nach denen sich Menschen sehnen. Für Christ*innen ist es die Beziehung zu dem Gott, der Zuflucht und Schutz inmitten aller Unsicherheit möglich machen will. In Beziehungen zu Gott und Menschen wechselseitig innere Stärke gewinnen, um auch Leidvolles zu ertragen, nicht zu verzagen, die Arbeit für eine gerechtere Welt nicht aufzugeben, sich nicht im Lamentieren über schlechte Politik zu verlieren und sich ins Private zurückziehen, sondern kreativ zu handeln und optimistisch die Zukunft zu gestalten, und so wieder Vertrauen ins Leben zu fassen. 100% Sicherheit gibt es nicht, aber „Zuflucht und Schutz“, um mit Unsicherheiten zu leben. „Le pire n’est pas sûr.“ (Paul Claudel) – Das Schlimmere ist nicht immer sicher oder anders gesagt, die Geschichte kann auch gut ausgehen. Dass wir als Gesellschaft die Hoffnung auf eine gute Zukunft gerade auch für unsere Kinder und Enkel nicht verlieren, darum geht es. Dafür brauchen wir mehr als ein „kleines bisschen Sicherheit“.

Reformationstag ist in Niedersachsen Feiertag, Chance und Zeit, um Beziehungen zu leben, in Poesie, Literatur, Kunst und Gebet neue Kraft und Hoffnung zu finden.

Einen gesegneten und inspirierenden Reformationstag 2022

Ihre

Kerstin Gäfgen-Track