Am Morgen nach der US-Wahl und dem Bruch der Ampelkoalition habe ich mit einem Mann, den ich aus meiner Zeit als Gemeindepfarrerin kenne, telefoniert. Wir haben über die neu eingetretene Situation gesprochen. Für ihn war glasklar, was jetzt dran ist. „Suchet der Stadt Bestes“, was denn sonst.
Ein über zweieinhalbtausend Jahre alter Text, der aktueller kaum sein könnte. „Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zu Gott; denn wenn’s ihr wohl geht, so geht es euch auch wohl.“ (Jeremia 29,7) Der Satz stammt aus einem Brief an Israeliten, die aus ihrer Heimat deportiert wurden und nun unter schwierigen Umständen als Migranten am äußersten Rand der Mehrheitsgesellschaft zunächst ihr Überleben sichern mussten. Die für sie unerwartete Botschaft des Propheten lautet aber: Schaut auf alle Menschen der Stadt, nicht nur auf euch selbst. Schaut, was die anderen und ihr braucht. Betet für die anderen, damit es ihnen gut geht. Denn, wenn es ihnen gut geht, geht es euch auch gut. Es gibt einen gemeinsamen Ort zum Leben für alle Menschen. „Suchet der Stadt Bestes“ ist zuerst ein Perspektivwechsel: von der Sorge um das eigene Leben den Blick hin zu anderen Menschen wenden. Sensibel für die Mitmenschen und - heute ebenso wichtig - sensibel für die Bedürfnisse der nichtmenschlichen Natur werden.
Meine frühere Gemeinde in Franken hat eine sie prägende Migrationsgeschichte: nach 1945 aus Ungarn vertriebene Deutschstämmige, die evangelisch waren, bekamen nur außerhalb der Stadtmauer Unterkünfte, die kaum mehr als ein notdürftiges Dach über dem Kopf waren. Die Kleinstadt war konfessionell rein katholisch. Zu Beginn der 90ziger Jahre, als ich dort zu arbeiten anfing, war die Minderheit der Evangelischen immer noch „anders“ und „fremd“, gehörten nicht wirklich dazu. Mit Beginn der 90ziger Jahre kamen neue Fremde aus dem evangelisch geprägten Umland in ein großes Neubaugebiet wie der Mann, mit dem ich telefonierte. Er wollte mit seiner Familie gesellschaftlich Fuß fassen, sein Geschäft aufbauen und kirchlich eine Heimat finden. Für ihn und seine Frau war klar, das funktioniert nur über den Aufbau von Beziehungen und über Engagement. Eines unserer Projekte gemeinsam mit der Stadt war die erste evangelische KiTa. Weil Plätze dringend benötigt wurden, wurde das Gemeindehaus zur Kita für alle Kinder, die einen Platz brauchten. Unten im Haus Vortrag im Seniorenkreis, oben spielende Kinder. Die einen übten Toleranz gegenüber dem Kinderlärm, und die Kinder versuchen, „etwas“ leiser zu sein. Die beiden Töchter des Mannes gehörten dazu. Sie kamen gerne in mein Büro und wir hatten viel Spaß miteinander und getröstet habe ich sie auch. „Suchet der Stadt Bestes“ – wir haben es damals gelebt, auch wenn es nicht immer reibungslos lief, aber insgesamt ging es allen gut.
„Suchet der Stadt Bestes“, damit es allen wohl geht, ist die Botschaft des Propheten Jeremia, die über Jahrtausende Orientierung für ein Leben gemeinsam mit anderen gegeben hat. Sie gibt auch weiter Orientierung. Schauen wir auf andere Menschen und die Natur, beten für beide und gestalten wir gemeinsam ein gutes Leben, so gut wir es können.
Im Namen der Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle der Konföderation
Ihre
Dr. Kerstin Gäfgen-Track