Loccum. „Wo ist der Himmel zu Ende?“ – „Tut alt werden weh?“ – „Woher kommen die Gedanken?“ Drei Fragen, die eines gemeinsam haben: Es gibt darauf keine eindeutigen Antworten. Und deshalb eignen sie sich hervorragend zum Philosophieren. Wenn es nach der Erziehungswissenschaftlerin Katrin Alt geht, sollte man damit bereits in der Kita anfangen.
Die Hamburger Pädagogin war Hauptreferentin beim „Treffpunkt Kindergarten“ am Religionspädagogischen Institut Loccum (RPI) und stieß bei den rund 100 Erzieherinnen und Erziehern mit ihrem Konzept auf reges Interesse. Im Gepäck hatte sie eine Fülle an Bilderbüchern, mit denen das Philosophieren mit Kindern besonders gut möglich ist. „Der Taxifahrer war ziemlich überrascht, als er meinen Koffer angehoben hat“, sagte Alt.
Der jährliche Kita-Treffpunkt in Loccum stand diesmal unter dem Motto „Mit Bilderbüchern die Welt entdecken“. Pastor Gert Liebenehm-Degenhard, RPI-Dozent für Religionspädagogik im Elementarbereich, ist selbst erklärter Bilderbuch-Fan und betreibt mit einer Kollegin den Podcast „Ich höre was, was du nicht siehst“, in dem beide Bilderbücher zu verschiedenen Themen besprechen. Die Teilnehmenden begrüßte er mit einem abgewandelten Zitat des Malers Paul Klee: „Bilderbücher zeigen nicht das Sichtbare, sondern machen die Welt sichtbar“.
„Warum bin ich auf der Welt?“ lautet die Frage, die etwa dem Buch „Die große Frage“ von Wolf Erlbruch zugrunde liegt. Ein kleiner Junge bekommt darauf Antworten, die so vielschichtig sind wie die Antwortenden – erst aus der Gesamtschau ergibt sich ein Bild der Wirklichkeit. Zum Philosophieren eignen sich laut Katrin Alt jene Bücher besonders gut, die Fragen aufwerfen, zu Gedankenexperimenten anregen, Widerspruch auslösen und – das gefällt nicht jedem – ein offenes Ende haben.
Neben dem Spaß, den man mit guten Bilderbüchern haben kann, können schon Kinder im Kita-Alter damit ihre Argumentationsfähigkeit üben. Sie lernen, frei zu sprechen, ihre Meinung zu äußern und, ganz wichtig, zu begründen. „Es hat einen eigenen Wert, mal unterschiedlicher Meinung zu sein und darüber konstruktiv zu streiten“, sagt Katrin Alt. Gerade in der heutigen Zeit sei es dringend nötig, solche Kompetenzen möglichst früh zu vermitteln. Denn ein sachlicher Austausch gut begründeter Argumente findet kaum noch statt, viele Debatten werden vor allem hitzig, emotional und unversöhnlich geführt.
Alt zitiert dazu die Philosophin Lisz Hirn: „Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung, aber nicht auf seine eigenen Fakten. Wenn ich meine Meinung äußere, muss ich sie auch verantworten.“ Das bedeute: „Es kommt eine Antwort zurück, auf die ich reagieren muss. Am besten möglichst offen, nicht diffamierend, sondern sachlich.“
Katrin Alt setzt sich für eine Stärkung des Philosophierens mit Kindern in der Kita ein. Sie hat an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) eine Professur für Kindheitspädagogik und Bildungswissenschaften inne, ist Vorstandsmitglied der „Gesellschaft zur Förderung des Philosophierens mit Kindern in Kindertagesstätten, Grundschulen und anderen Bildungseinrichtungen“ und bringt zugleich praktische Erfahrungen als Kita-Leiterin mit – was nicht ganz unwichtig ist, will man bei diesem Thema nicht als abgehoben dastehen.
Fragen wie die eingangs gestellten – die übrigens allesamt aus dem Buch „Ist 7 viel?“ von Antje Damm stammen – können nach Alts Ansicht gut in der Kita diskutiert werden. Dabei gilt: Es gibt keine falschen Fragen, man lässt die anderen ausreden und lacht sie nicht aus. Wenn sich diese Regeln bis ins Erwachsenenalter hinüberretten ließen, wäre unsere Gesellschaft eine bessere.
Text und Foto: Lothar Veit / EMA