Mit dem Mut des Gewissens

Nachricht 19. Juli 2024

Vor 80 Jahren scheiterte das Attentat vom 20. Juli auf Adolf Hitler

Büste des Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg von Frank Mehnert. Foto: epd.

Frankfurt/Main. Der 20. Juli 1944 ist in Ostpreußen ein warmer Sommertag. Die Fenster der Besprechungsbaracke im Hauptquartier „Wolfsschanze“ nahe dem ostpreußischen Rastenburg (heute: Ketrzyn/Polen) stehen wegen des Wetters weit offen - ein Zufall, doch er trägt mit dazu bei, dass das Attentat auf den nationalsozialistischen Diktator Adolf Hitler in der „Wolfsschanze“ misslingt: Die Druckwelle der heftigen Explosion, die Hitler töten sollte, kann zu einem Gutteil durch die offenen Fenster entweichen.

Auch dass Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der den Sprengsatz gezündet und unter dem Besprechungstisch platziert hat, vorher nur eines von zwei Sprengstoffpäckchen scharf machen konnte, trägt ebenso wie die stabile Tischplatte zum Scheitern des bekanntesten Hitler-Attentats bei. Vor allem aber, dass er selbst den Sprengstoff in Hitlers Nähe platziert und zündet, ist das entscheidende Manko. Denn eigentlich müsste Stauffenberg an diesem Donnerstagmittag in Berlin sein und den vorab geplanten Umsturz („Operation Walküre“) leiten. Bis er, mit dem Flugzeug aus Ostpreußen kommend, in der deutschen Hauptstadt eintrifft, verstreicht kostbare Zeit, die seine Mitverschwörer weitgehend ungenutzt lassen.

Noch bevor der lange geplante Staatsstreich, der Generaloberst Ludwig Beck als neues Staatsoberhaupt vorsieht, richtig beginnen kann, ist er schon gescheitert. Bereits in der Nacht zum 21. Juli werden Stauffenberg und drei Mitverschwörer im Bendlerblock in Berlin erschossen. Zudem meldet sich Hitler, der bei dem Attentat nur leicht verletzt worden ist, in der Nacht mit einer Radioansprache zum gescheiterten Attentat zu Wort - zum Beweis, dass er überlebt hat.

Historikerin Linda von Keyserlingk-Rehbein räumt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) zum 80. Jahrestag ein: „Der Attentatsversuch und der anschließende Umsturzversuch sind gescheitert, keine Frage.“ Aber, so die auf historische Netzwerkforschung spezialisierte Wissenschaftlerin, „die vorherige Konspiration, der geheime Aufbau des großen und komplexen konspirativen Netzwerks war ausgesprochen erfolgreich“.

Rund 200 aktiv an dem Umsturz beteiligte Personen hat Keyserlingk-Rehbein gefunden. Die Gestapo, deren Aufgabe die Bekämpfung politischer Gegner war, hat laut der Netzwerkforscherin 132 Personen und 650 Kontakte zwischen diesen Beteiligten ermittelt. Wider besseres Wissen sprachen die Nationalsozialisten bis zum Ende ihrer Terrorherrschaft von einer „ganz kleinen Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich unvernünftiger, verbrecherisch-dummer Offiziere“.

Der Ruf als „Verräter und Verbrecher“ blieb den für den Attentats- und Umsturzversuch Verantwortlichen sogar nach der NS-Zeit noch erhalten. Es brauchte erst einen Nazijäger wie Fritz Bauer, der die Hitler-Attentäter rehabilitierte: Als Braunschweiger Generalstaatsanwalt verklagte er 1952 den Altnazi Otto Ernst Remer, der die Attentäter vom 20. Juli 1944 als Landesverräter geschmäht hatte, und leitete so eine erinnerungspolitische Wende ein. In diesem Zusammenhang sagte Bauer: „Ein Unrechtsstaat wie das 'Dritte Reich' ist überhaupt nicht hochverratsfähig.“

Stauffenberg selbst rechnete kurz vor dem Attentats- und Umsturzversuch damit, als Verräter angesehen zu werden: „Es ist Zeit, dass jetzt etwas getan wird. Derjenige allerdings, der etwas zu tun wagt, muss sich bewusst sein, dass er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird. Unterlässt er jedoch die Tat, dann wäre er ein Verräter vor seinem eigenen Gewissen.“

Nach Einschätzung von Keyserlingk-Rehbein spielte Stauffenberg „seit Herbst 1943 eine Schlüsselrolle bei dem Umsturzvorhaben“. Er sei „Dreh- und Angelpunkt für die Umsetzung der Umsturzpläne“ gewesen, erklärt sie. Vorbereitet hätten sie aber viele andere vor ihm, die ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen angehörten. Waren die nationalsozialistischen Verbrechen in Osteuropa für Stauffenberg der Auslöser, in den Widerstand zu gehen, hatten sich viele andere Netzwerker bereits in den 1930er Jahren von dem Unrechtsregime distanziert.

Alles in allem sieht Keyserlingk-Rehbein durch ihre Recherchen zu dem Netzwerk die Bedeutung der Person Stauffenberg relativiert, „weil sich das öffentliche Interesse häufig sehr auf seine Person konzentriert. Es relativiert vielleicht ein bisschen diese Hierarchisierung in der Erinnerungskultur.“

Einer der führenden Forscher zum Nationalsozialismus, Wolfgang Benz, sagt mit Blick auf Keyserlingk-Rehbeins Netzwerk-Theorie: „Ein Netzwerk besteht aus sehr vielen Mitwissern, aber nicht zwangsläufig aus sehr vielen Aktivisten.“ Keyserlingk-Rehbein sieht das anders: „Jeder hatte seine Funktion im Netzwerk - je nach Handlungsspielraum. Es ging ja eben nicht nur um das Attentat.“

Der renommierte Antisemitismus- und Widerstandsforscher Benz weist kritisch auf die Doppelrolle Stauffenbergs als Attentäter in der „Wolfsschanze“ und als Organisator des Umsturzversuchs in Berlin hin. „Das lässt natürlich Zweifel an der Effizienz der Verschwörer aufkommen.“ Insgesamt hält Benz den 20. Juli 1944 für eine „symbolische Tat“.

Von Susanne Rochholz (epd)