Orientierung

Nachricht 20. Januar 2025

Editorial von Dr. Gäfgen-Track zum Newsletter der Konföderation

Dr. Kerstin Gäfgen-Track. Foto: Jens Schulze

Der Januar und mit ihm viele Neujahrsempfänge markieren den Beginn eines neuen Jahres.  Gerade am Anfang eines neuen Jahres stellen sich Menschen die Frage, wie es weitergehen soll jetzt und in Zukunft: persönlich, in unserer Gesellschaft und in unserer Welt. Wo wollen wir hin? Wie wollen wir leben? „Dry january“, mehr Bewegung, weniger Fleisch, eine andere Arbeit sind gute Vorsätze für die Zukunft und für Einzelne wichtig. Doch diese guten Vorsätze reichen nicht, um herauszufinden, wie wir leben wollen und vor allem, was ein gutes Leben ausmacht. Orientierung ist gefragt. Orientierung, die trägt und Sinn macht und gibt.

Mein eigener Orientierungssinn könnte besser sein, deshalb ist Manhattan mit seinen Nord-Süd verlaufenden Avenues und seinen Ost-West verlaufenden Streets für mich ein guter Aufenthaltsort, an dem ich mich nicht verlaufe. In dieser Stadt gibt es zugleich an jeder Straßenecke eine nicht zu überblickende Menge an Angeboten, zwischen denen nicht nur ich durchaus die Orientierung im übertragenen Sinn zu verlieren drohe: Konsumgüter, Kultur und Kulturen, Religionen und Weltanschauungen, Cafés, Restaurants und Bars, Parteien, Schulen und Clubs, Nachbarschaftstreffs, Sport, Gesundheit, Verkehrsmittel. Alle diese kleinen und großen Orientierungsangebote sind allerdings nicht nur in New York zu haben, sondern aufgrund von Internet und sozialen Netzwerken überall auf dieser Welt.   

In dieser Stadt habe ich gelernt: Ich brauche Orte, an die ich mit dem Kopf voller Informationen, Ideen und Erfahrungen zurückkommen kann. Orte, an die ich gehöre. Das ist in Manhattan die Wohnung meiner Freunde, in der der Lärm der Stadt immer im Hintergrund zu hören ist und die mitten in dieser Stadt Wärme, Geborgenheit und Rückzugsmöglichkeiten bietet. Von hier aus stürze ich mich in die Unübersichtlichkeit der Stadt und dorthin bringe ich Orientierungsangebote aller Art zurück. Ohne bergende Orte gelingt in der Fülle der Wegweisungen keine Orientierung.

Das, was speziell diesen Ort für meine Orientierung so wichtig macht, sind die Gespräche am Abend mit gemeinsam gekochtem Essen und Vollmilch-Nuss-Schokolade, manchmal mit weiteren Gästen. Durch diese Gespräche sortieren wir unsere Gedanken, teilen Meinungen und Anregungen und suchen gemeinsam nach einem Weg in die Zukunft, finden Orientierungspunkte, die uns gemeinsam helfen. Orientierung braucht die gemeinsame Suche und das gemeinsame Gespräch.

In New York gibt es eine Vielzahl von Kirchen unterschiedlicher Konfessionen, keine ist bisher zu „meiner“ Kirche geworden. Wenn eine Kirche geöffnet ist oder eine Bank in einem Park frei ist, nehme ich Platz, um zu meditieren. Denn für das, woran ich mich grundsätzlich orientiere, dafür steht keines der Angebote, die mir überall begegnen. Es braucht im Leben einen Grund oder eine Überzeugung außerhalb der eigenen Person, vielleicht die Erfahrung von Transzendenz. Für mich ist es der christliche Gott, transzendent und doch mitten im Leben erfahrbar. Die Orientierung an der Liebe, der Menschlichkeit, an dem Heil und der Hoffnung Gottes tragen mich auch in unruhigen Zeiten. Sie tragen, wenn die Sorgen größer werden, Ängste hochkommen und die Unübersichtlichkeit wächst. Dann nicht auf mich selbst verwiesen zu sein, sondern zu wissen – Gott ist da. Daran halte ich mich.

Jetzt im bundesdeutschen Wahlkampf bieten die unterschiedlichen Parteien sehr unterschiedliche politische Orientierungsmuster an, die mehr oder weniger in die Tiefe gehen und die alle ihre Tragfähigkeit in der nächsten Regierungszeit erst beweisen müssen. Und es werden von einigen Parteien Orientierungsmuster angeboten, die angesichts des 80. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz (27. Januar 1945) in diesem Land „nie wieder“ zu hören sein sollten. Diese menschenverachtenden und diskriminierenden Orientierungsmuster orientieren nicht, sie führen in eine falsche und gefährliche Richtung.

Sich mit Fragen nach Orientierung, Sinn, Religion und Weltanschauungen zu beschäftigen, dafür steht der konfessionelle Religionsunterricht, den wir gemeinsam mit dem Land als katholische und evangelische Kirchen weiterentwickeln und fördern möchten. Deshalb wird es in Zukunft das neue Fach „Christliche Religion nach evangelischen und katholischen Grundsätzen“ geben. Im Religionsunterricht sind Demokratie, Recht und gesellschaftliches Zusammenleben schon immer selbstverständliche Themen gewesen. Wir haben in Absprache mit dem Ministerium alle Religionslehrkräfte eingeladen, sich an der schulischen Projektwoche vom 27. bis 31. Januar zu diesen Themen vor der Bundestagswahl zu beteiligen.
Mögen wir gemeinsam, gerade mit jungen Menschen, in vielen Dialogen unsere Gesellschaft weiterentwickeln, Orientierung finden und Zukunft gestalten.  

Ihre

Dr. Kerstin Gäfgen-Track

Zum aktuellen Newsletter

„Orientierung ist gefragt. Orientierung, die trägt und Sinn macht und gibt.“