
Von Niklas Kleinwächter.
Kurz vor Weihnachten war es endlich so weit: Nach fast fünf Jahren der Vorbereitung haben die fünf evangelischen Kirchen in Niedersachsen und die vier katholischen Bistümer in Hannovers Neustädter Hof- und Stadtkirche feierlich eine Vereinbarung über die Einführung eines gemeinsam verantworteten Christlichen Religionsunterrichts unterzeichnet. Bei der Gelegenheit attestierte der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer dem neuen Unterrichtsfach, „Pilotcharakter“ zu haben, und Niedersachsens Kultusministerin Julia Hamburg (Grüne) sprach von einer „wegweisenden Vereinbarung“. Tatsächlich hat das niedersächsische Modell für den Religionsunterricht das Potenzial, künftig Schule zu machen und in den kommenden Jahren noch zahlreiche Nachahmer zu nden. „Die anderen Bundesländer und Kirchen schauen genau hin,was hier in Niedersachsen nun unternommen wird“, sagt Prof. Bernd Schröder von der Universität Göttingen im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Wegen seiner Expertise im Bereich der Religionspädagogik hat der Professor für Praktische Theologie die Vorbereitung des neuen Christlichen Religionsunterrichts eng verfolgt und weiß um das Besondere dieses neuen Ansatzes.
Ab dem kommenden Schuljahr soll das neue Unterrichtsfach mit dem sperrigen Titel „Christliche Religion nach evangelischen und katholischen Grundsätzen“ schrittweise an allen Schulformen in Niedersachsen den konfessionellen Religionsunterricht ersetzen. Derzeit wird im niedersächsischen Kultusministerium an den konkreten Unterrichtsinhalten, dem Kerncurriculum, noch gearbeitet. Doch die Zielsetzung ist klar: Der neue Religionsunterricht soll auf keinen Fall bloß eine Konfessionskunde sein, die sich nun eben auch an der jeweils anderen Lehre ausrichtet. Im Kern soll sich das Schulfach nämlich an den Fragen der Schüler orientieren. Es solle darum gehen, sich mit Themen wie Wahrheit, Sinn und Orientierung kritisch auseinanderzusetzen, erklärte Oberlandeskirchenrätin Kerstin Gäfgen-Track, Bevollmächtigte der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und eine der Initiatoren des neuen Religionsunterrichts. Bei der Beantwortung der Schülerfragen solle nun eben „aus der Weite der Ökumene“ geschöpft werden, sagt Prof. Schröder.
Das Fundament für diese engere Zusammenarbeit von evangelischer und katholischer Seite wurde derweil vor gut einem Vierteljahrhundert gelegt. Damals hat man in Niedersachsen ‑ und ungefähr zeitgleich auch in Baden-Württemberg ‑ den sogenannten konfessionell-kooperativen Religionsunterricht auf den Weg gebracht. Seitdem gilt, dass eine Schule, die einen entsprechenden Antrag stellt, den ansonsten eigentlich von einer Konfession verantworteten Religionsunterricht auch in einer kooperativen Form anbieten darf. Die evangelischen und katholischen Schüler bleiben dann zusammen und werden von einer Lehrkraft, die entweder in evangelischer oder in katholischer Religionslehre ausgebildet ist, unterrichtet. „Der konfessionell-kooperative Religionsunterricht ist weithin sehr beliebt“, weiß Prof. Schröder. Knapp ein Drittel aller Schulen in Niedersachsen hätten inzwischen dieses Modell offiziell angemeldet. Eine empirische Umfrage habe zudem ergeben, dass die tatsächliche Zahl sogar noch höher liegen dürfte. Nach Auskunft der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen haben im Schuljahr 2023/2024 insgesamt gut 536.000 der 877.000 Schüler in Niedersachsen den Religionsunterricht besucht, davon 239.000 den konfessionell-kooperativen. Neben dem Rückgang der Kirchenmitgliederzahlen dürfte bei den Überlegungen zur Einführung des neuen Christlichen Religionsunterrichts auch eine Rolle gespielt haben, dass sich ein solcher Religionsunterricht im Stundenplan deutlich besser einplanen lässt und weniger Kapazitäten bindet. Die bislang freiwillige Kooperation soll künftig nun jedenfalls obligatorisch werden.
Bemerkenswert an dieser Entwicklung ist, dass nun, da Niedersachsen den nächsten Schritt geht, in mehreren süddeutschen Ländern wie Bayern, Rheinland-Pfalz oder dem Saarland das kooperativ-konfessionelle Unterrichtsmodell gerade erst neu eingeführt wird. Prof. Schröder hat für diese ungleichzeitige Entwicklung eine Begründung parat, die viel mit der sehr unterschiedlichen religiösen Zusammensetzung der einzelnen Länder zu tun hat. In Niedersachsen ‑ und ähnlich auch in Baden-Württemberg ‑ dominiere im Landesdurchschnitt keine der beiden christlichen Konfessionen. Gleichzeitig gebe es aber deutliche Zentren, wie beispielsweise das Oldenburger Münsterland, das stark katholisch geprägt ist, während man in der Lüneburger Heide beinahe nur Lutheraner nde. Aufgrund dieser Besonderheit mussten schließlich beide Konfessionen fürchten, jeweils in bestimmten Regionen des Landes ihre Kurse nicht mehr voll zu bekommen. Neben guten persönlichen Kontakten der Bildungsbeauftragten der Kirchen und Bistümer sei es wohl diese Ausgangslage gewesen, die eine Kooperation der Konfessionen beim Religionsunterricht früh begünstigt hat, argumentiert Prof. Schröder. In den süddeutschen Bundesländern mit einer mehrheitlich katholischen Bevölkerung war der Druck unterdessen sehr viel geringer ausgeprägt. „Wo die katholische Kirche dominiert, ist sie zurückhaltender, was Kooperationen angeht“, sagt der Theologieprofessor. Das ändere sich erst jetzt durch den allgemeinen Rückgang der Kirchenmitgliederzahlen, von dem die katholischen Bistümer zunächst stärker betroffen waren als die evangelischen Landeskirchen. Gut möglich also, meint Prof. Schröder, dass deshalb in 15 bis 20 Jahren all die Länder, die nun gerade den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht einführen, einmal dem niedersächsischen Beispiel folgen werden.
Rundblick. Politikjournal für Niedersachsen, Nr. 27(2025), mit freundlicher Genehmigung