Bienenbüttel/Hannover. Die Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen hat die Beendigung des Kirchenasyls in Bienenbüttel (Kr. Uelzen) durch Polizei und Landesaufnahmebehörde kritisiert. Sie sehe den Vorgang „mit großer Besorgnis, zumal mit uns vorher dazu kein Kontakt aufgenommen wurde“, sagte die Bevollmächtigte der Konföderation, Kerstin Gäfgen-Track am Mittwoch dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Konföderation habe nie infrage gestellt, dass kirchliche Gebäude kein rechtsfreier Raum seien. „Gleichzeitig gab es in den letzten Jahrzehnten immer eine enge Abstimmung zwischen uns als Kirchen und dem Land Niedersachsen zum Kirchenasyl. Daran möchten wir in Zukunft anknüpfen.“
Das gelte umso mehr, da die veränderte Gesetzgebung zum Umgang mit Geflüchteten auch zu einer Zunahme der Fälle von Kirchenasyl führe, betonte Gäfgen-Track. „Wir hoffen im Gespräch mit Innenministerin Behrens, an die bewährte Praxis der letzten Jahre anknüpfen zu können und konstruktive Wege im Sinne der Schutz suchenden Menschen zu finden.“
Innenministerin Daniela Behrens (SPD) sagte unterdessen, sie habe Vertreterinnen und Vertreter der evangelischen Kirche sowie der Landesaufnahmebehörde zu einem Gespräch am 28. Mai über den Umgang mit dem Kirchenasyl eingeladen. Anlass sei neben dem Fall Bienenbüttel die zuletzt deutlich gestiegene Zahl von Kirchenasyl-Fällen. Sie wolle unter anderem „über das gemeinsame Verständnis von Härtefällen“ sprechen. Die Zahl Kirchenasyl-Fälle sei von 15 im Jahr 2022 auf 80 im vergangenen Jahr gestiegen.
Die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche beobachtet eine Zunahme von Räumungen und Räumungsversuchen von Kirchenasylen in Deutschland. Seit Juli 2023 habe es sieben Fälle von Räumungen, versuchten Räumungen oder Räumungsandrohungen gegeben, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft, Dieter Müller, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er forderte, die katholischen und evangelischen Bischöfe müssten jetzt stärker in die Offensive gehen.
In Bienenbüttel hatte die Landesaufnahmebehörde mithilfe der Polizei am späten Sonntagabend das Kirchenasyl einer russischen Familie in der St. Michaelisgemeinde aufgelöst. Das Ehepaar, der erwachsene Sohn und die 16-jährige Tochter waren noch in der Nacht aufgrund der Dublin-Regelung nach Barcelona abgeschoben worden, weil sie ein Touristenvisum für Spanien besaßen.
Die Familie hatte im vergangenen Jahr auf der Durchreise dorthin bei Verwandten in Deutschland Station gemacht, als die beiden Männer einen Einberufungsbescheid für die russische Armee erhielten. Weil sie den Kriegsdienst verweigern wollten, beantragte die Familie im August 2023 in Deutschland Asyl. Die Mutter erkrankte in der Folge psychisch schwer.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte den Asylantrag ab. Wegen des spanischen Visums sei Spanien für den Antrag zuständig. Die Familie legte Widerspruch ein. Nachdem auch der abgelehnt wurde, begab sie sich Anfang Februar ins Kirchenasyl nach Bienenbüttel. Die Kirchengemeinde und die Konföderation sahen einen Härtefall, weil die behandelnden Ärzte eine Gefahr für Leib und Leben der Mutter im Fall einer Abschiebung nach Spanien befürchteten.
Ministerin Behrens betonte, das BAMF habe „jedoch bedauerlicherweise keinen Härtefall erkannt“. Deshalb sei die Rückführung in einem korrekten und rechtsstaatlichen Verfahren abgelaufen. Das sei „menschlich ausgesprochen tragisch und für die Betroffenen sicher hoch belastend“.
Der Pastor der Gemeinde, Tobias Heyden, betonte, es sei bisher gängige Praxis gewesen, dass die Behörden auch nach abgelehntem Härtefall nicht eingegriffen hätten. Es habe seit der Mitteilung Mitte März keine weitere Kontaktaufnahme seitens des BAMF gegeben, bis am Sonntag die Polizei das Kirchenasyl beendet habe – eine Woche bevor die sechsmonatige Frist zur Rücküberstellung nach Spanien abgelaufen wäre. Dann wäre die Zuständigkeit für den Asylantrag ganz regulär auf Deutschland übergegangen.
epd Niedersachsen-Bremen