„Gerade heute den Nerv der Zeit getroffen“

Nachricht 30. Mai 2024

90 Jahre Barmer Theologische Erklärung

„Ohne die Barmer Theologische Erklärung könnten wir gar nicht arbeiten“ – davon ist die Bevollmächtigte der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, Oberlandeskirchenrätin Dr. Kerstin Gäfgen-Track, überzeugt. Sie bringt auf den Punkt, dass es keinen „Bereich christlichen Lebens“ sowohl privat wie öffentlich gibt, der nicht von der Richtung und Linie das Evangeliums bestimmt ist. Sie unterscheidet klar zwischen Kirche, Gesellschaft und Staat. Der kirchliche Öffentlichkeitsauftrag in Gesellschaft und Staat schließt den konstruktiv-kritischen Dialog und ein Engagement für ein gelingendes Leben von Menschen ein. Dazu gehört das Gebet für Frieden und Gerechtigkeit. Die nun schon 90 Jahre alte Erklärung trifft gerade heute den Nerv der Zeit.“

Vor 90 Jahren, am 29. Mai 1934, kam in Barmen-Gemarke die Bekennende Kirche in Deutschland zu ihrer ersten gemeinsamen Synode zusammen. „Angesichts der die Kirche verwüstenden und damit auch die Einheit der Deutschen Evangelischen Kirche sprengenden Irrtümer der Deutschen Christen und der gegenwärtigen Reichskirchenregierung“ bekannte man sich zu sechs „evangelischen Wahrheiten“.

Grundlegend war in These 1 das Bekenntnis zu Jesus Christus als „das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und gehorchen haben“. Damit war eine klare Absage an alle erteilt, die „andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen“ – so wurde für alle sichtbar der Verherrlichung des Reichskanzlers Adolf Hitler widersprochen.

Staat und Kirche wurden in These 5 klar unterschieden, aber aufeinander bezogen: Aufgabe des Staates ist es, wenn notwendig unter Ausübung von Gewalt, für Recht und Frieden zu sorgen – die Kirche dagegen soll diesen Staat an Gottes Gebot und seine Gerechtigkeit erinnern.

Der Theologieprofessor Albrecht Grözinger sieht im Magazin zeitzeichen in dieser 5. These eine Aussage, die über die zeitgeschichtliche Bedeutung hinausweist: „Nur mittels dieser spezifischen Erinnerung gewinnt die Kirche ihr Profil und ihre Erkennbarkeit. Und genau durch diese Struktur konstituieren sich zivilgesellschaftliche Assoziationen: Sie nehmen eine spezifische Aufgabe wahr, die sie von anderen zivilgesellschaftlichen Assoziationen unterscheidet. Und deshalb ist in der Barmer Theologischen Erklärung die Kirche – avant lettre! – als zivilgesellschaftliche Assoziation bestimmt ohne ‚staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würden‘.“ Damit, so Grözinger, erscheint „mitten in einer unmenschlichen Diktatur in der theologischen Reflexion die Vision eines demokratischen Staates auf mit seinen grundlegenden Implikationen.“

Durch ihre grundlegende Klärung des Verhältnisses von Kirche und Staat hat die Erklärung eine Lücke in der evangelischen Tradition gefüllt und sich so als eine schriftgemäße, für den Dienst der Kirche verbindliche Bezeugung des Evangeliums erwiesen. Insofern passt das 90jährige Jubiläum der Barmer Theologischen Erklärung am 31. Mai wie angegossen zum 75-jährigen Jubiläum des Grundgesetzes am 23. Mai.

Die Bischöfe und Leitenden Geistlichen der Christlichen Kirchen in Niedersachsen haben entsprechend in ihrer gemeinsamen Erklärung betont: „Wir stehen engagiert, kritisch und konsequent für die Demokratie ein und steigern gegenwärtig unseren Einsatz für die Stärkung der Demokratie auf den verschiedenen Ebenen kirchlichen Lebens. Wir haben aus unserer Geschichte gerade im vergangenen Jahrhundert gelernt, dass Christinnen und Christen, die zugleich Staatsbürgerinnen und -bürger sind, die Aufgabe haben, sich um der Menschen willen aktiv für das Gelingen menschlichen Zusammenlebens einzusetzen. Die Demokratie ist nach unserer tiefen Überzeugung diejenige Staatsform, die die unantastbare Würde der Person am besten anerkennt und achtet sowie ein Leben in Freiheit schützt.“

Barmen in den Kirchen der Konföderation

Die Barmer Theologische Erklärung (BTE) findet sich in vielen evangelischen Kirchenverfassungen und Grundordnungen, auch in der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verweist in Artikel 1 ihrer Grundordnung auf die BTE: „Mit ihren Gliedkirchen bejaht die Evangelische Kirche in Deutschland die von der ersten Bekenntnissynode in Barmen getroffenen Entscheidungen. Sie weiß sich verpflichtet, als bekennende Kirche die Erkenntnisse des Kirchenkampfes über Wesen, Auftrag und Ordnung der Kirche zur Auswirkung zu bringen. Sie ruft die Gliedkirchen zum Hören auf das Zeugnis der Brüder und Schwestern. Sie hilft ihnen, wo es gefordert wird, zur gemeinsamen Abwehr kirchenzerstörender Irrlehre.“

Die Reformierte Kirche zählt die BTE in § 1 ihrer Verfassung zu den grundlegenden Bekenntnisschriften: „Als Urkunden des Bekenntnisstandes der Evangelisch-reformierten Kirche gelten die altkirchlichen Bekenntnisse (Apostolicum, Nicaeno-Constantinopolitanum, Athanasianum), der Heidelberger Katechismus und die Theologische Erklärung von Barmen vom 31. Mai 1934. In diesen Bekenntnisschriften sieht die Evangelisch-reformierte Kirche – vorbehaltlich weiterführender schriftgemäßer Glaubenserkenntnis – maßgebliche Zeugnisse für ihre kirchliche Verantwortung.“

Die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers nennt die BTE in der Präambel ihrer Verfassung: „Grundlage der Verkündigung in der Landeskirche ist das in Jesus Christus offenbar gewordene Wort Gottes, wie es in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments gegeben, wie es in den Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche maßgebend bekannt und wie es aufs Neue in der Theologischen Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen bezeugt worden ist.“

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Oldenburg bezieht sich in Artikel 1 ihrer Kirchenordnung auf die BTE: „Die Kirche weiß sich verpflichtet, ihren Bekenntnisstand jederzeit an der Heiligen Schrift neu zu prüfen und dabei auf den Rat und die Mahnung der Brüder gleichen und anderen Bekenntnisses zu hören. Sie weiß, dass ihr Bekenntnis nur dann in Geltung ist, wenn es jeweils in seiner Bedeutung für die Gegenwart ausgelegt, weitergebildet und bezeugt wird. Zu dieser Haltung verpflichtet sie auch die auf der ersten Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche in Barmen 1934 gefallene Entscheidung und die theologische Erklärung dieser Synode.“

Die Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig erwähnt die BTE in Artikel 2 ihrer Verfassung: „Die Landeskirche wahrt und fördert die im Kampf um das Bekenntnis geschenkte, auf der Bekenntnissynode von Barmen im Jahr 1934 bezeugte Gemeinschaft. Die dort ausgesprochenen Verwerfungen bleiben in der Auslegung durch das lutherische Bekenntnis für ihr kirchliches Handeln maßgebend.“

In der Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schaumburg-Lippe wird die BTE nicht erwähnt. Als Mitgliedskirche der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) gilt auch in Schaumburg-Lippe der dortige Artikel 2 der Verfassung: „Die Vereinigte Kirche, mit der Evangelischen Kirche in Deutschland als Gemeinschaft lutherischer, reformierter und unierter Gliedkirchen verbunden, wahrt und fördert die im Kampf um das Bekenntnis geschenkte, auf der Bekenntnissynode von Barmen 1934 bezeugte Gemeinschaft. Die dort ausgesprochenen Verwerfungen bleiben in der Auslegung durch das lutherische Bekenntnis für ihr kirchliches Handeln maßgebend.“